Dann kommt DER Tag. Wenige Höhenmeter trennen das Basislager vier vom Gipfel. Tamara bricht nach den Expeditionskollegen auf – hinein in die Dunkelheit. Es hat 34 Grad minus, der Wind pfeift ihr mit 45 Kilometern pro Stunde um die Ohren und sie merkt: Heute ist nicht mein Tag. Die sonst so Kräftige fühlt sich nicht gut, jeder Schritt fällt noch schwerer als sonst in dieser Höhe. Sie erbricht – immer wieder. Doch sie macht weiter, betet, dass die ersten Sonnenstrahlen rauskommen. Sie bleibt immer öfter stehen, um Kraft für den nächsten Schritt zu sammeln; bis sie plötzlich, laut und deutlich, eine innere Stimme hört, die zu ihr sagt: „Wenn Du jetzt weitergehst, kommst Du nie mehr zurück“.
Sie steht 70 Meter vor dem Ziel. Dabei ist ihr klar: Sie würde die drei Männer ihrer Seilschaft in Gefahr bringen. In diesen Höhen, bei diesen Bedingungen, kann einem niemand mehr helfen. Sie kehrt um. Der Abstieg ist steil und gefährlich, jeder Fehltritt unverzeihlich. Sie springt über eine Gletscherspalte, rutscht aus. Es geht rasant nach unten. „Das ist das Ende“, denkt sie sich, bevor sie durch einen Schneehaufen gebremst wird, der ihr das Leben rettet.
Später abends im Zelt, nachdem sie den anderen zur Gipfelbesteigung gratuliert hat, kommen die Enttäuschung und die Traurigkeit hoch. Normal. Doch dann, unerwartet, wandeln sich diese Gefühle in Dankbarkeit um. Sie ist dankbar dafür, sich auf die innere Stimme verlassen zu können. Zufriedenheit steigt auf, die Bergkollegen nicht in Gefahr gebracht zu haben. Und schlussendlich freut sie sich mit ihren Teamkollegen über deren Erfolg.