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Der Club der Spinnerinnen

Es geht „bergauf“: Sie spinnen Wolle, nähen Matratzen, machen Schuhe. Damit schaffen diese Frauen sich ihre Arbeitsplätze selber.

Menschenhaare haben es vielleicht nicht anders verdient. Verstrickt würden sie kaum mehr als ein Spinnennetz ergeben. Aber Schafe? 100 Tonnen Wolle werden in Südtirol jedes Jahr in den Müll geworfen. Anders ist es im Ultental. Auf einem Bauernhof fertigt eine Handvoll Frauen aus dem wertvollen Rohstoff Matratzen, Jacken, ja sogar Schuhe. Und wir sehen: da greifen gleich mehrere Fäden ziemlich gut ineinander…

Steil schlängelt sich die Straße von Lana im Etschtal hinauf ins Ultental. Es geht vorbei an alten Bauernhöfen und Schloss Eschenlohe mitten ins Postkartenidyll. Schön ist es hier. Aber auch weit weg von den Städten Meran und Bozen. „Viele junge Leute fahren talauswärts zur Arbeit und bleiben dann gleich ganz unten. Leider“, sagt Dorothea Egger. Die 48-Jährige wollte nie weg aus ihrem Tal, nicht nur, weil sie drei schulpflichtige Kinder hat, auch weil es ihre Heimat ist. Ihrer Schwester Klara, 50, ging es genauso. Das Problem war nur die Arbeit.

Wolle fühlt sich an wie Waltraud

Diese Geschichte könnte hier enden, wenn nicht Waltraud Schwienbacher ins Spiel gekommen wäre. Die 71-jährige Bäuerin Traudl Schwienbacher kämpft seit Jahrzehnten gegen die Abwanderung aus ihrem Tal. 1993 gründete sie in St. Walburg in Ulten die so genannte Winterschule. Flechten, Filzen, Klöppeln und vieles mehr: Die Kursteilnehmer können alte Handwerke erlernen, die in keiner Schule mehr auf dem Lehrplan stehen und mit der Zeit in Vergessenheit geraten würden. Seither ist Waltraud Schwienbacher in Südtirol sehr bekannt. Es liegt auch an ihrer unumstößlichen Art, für die Dinge zu kämpfen, die ihr am Herzen liegen.

Keine Schererei zu viel: Pantoffeln, Matratzen, Tischsets…

Klara und Dorothea Egger kann das nur recht sein. Schwienbachers Überzeugung, den Menschen im Ultental eine Perspektive für die Zukunft zu bieten, ist auch die Grundlage für ihren Arbeitsplatz. Vor mittlerweile vier Jahren gründete die 71-Jährige die Sozialgenossenschaft „Lebenswertes Ulten“ und holte Dorothea und Klara Egger mit ins Boot.

Die Frauen beschlossen, am Schmiedhof in St. Walburg die Wolle der Ultner Bergschafe zu verarbeiten. Ihre Wollmanufaktur, in der feine Pantoffeln, Tisch-Sets, Teppiche, Matratzen, Kleider und vieles mehr entstehen, nannten sie „Bergauf“. Der Name gibt die Marschrichtung vor. „Es ist dringend notwendig, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden, sonst sterben unsere Dörfer aus“, sagt Klara Egger.

Die eigenen Ressourcen wieder schätzen lernen

Schwienbacher mag mit ihren im Nacken zu einem Dutt zusammengebundenen grauweißen Haaren und den weiten, fließenden Kleidern ein bisschen wie aus der Zeit gefallen wirken. Ihre Ideen sind der Zeit voraus. Lange bevor sich Südtiroler Unternehmer Gedanken um die Verwertung der Wolle machten, verstand sie, dass das Ultental sich auf seine Ressourcen besinnen muss. „Wir haben Wald, Wasser und Wolle“, sagt sie. Das klingt zunächst gut, was nicht nur an der schönen Alliteration liegt. Dennoch wusste man lange nicht, was man damit anfangen sollte.

Ein kratziger Pullover macht glücklich. Wie das?

Über eine Zahl können die Selbermacherinnen nur den Kopf schütteln. Etwa 100 Tonnen Wolle werden nach Schätzungen in Südtirol Jahr für Jahr weggeschmissen. Für die Frauen dagegen gibt es keinen wertvolleren Rohstoff. Und keinen, der so tief mit dem Ultental verbunden ist, wie sie selbst. Er hält warm, ist widerstandsfähig, nicht synthetisch. „Wolle enthält Wasser- und Sauerstoff, Schwefel und viele andere Elemente. Das ist gut für den Körper. Wer sich viel mit Wolle umgibt, ist ausgeglichener und kommunikativer“, weiß Schwienbacher.

Im Ultental ist die Wolle auch gut für die Seele. Die Bauern liefern sie jetzt zur Wollmanufaktur und nicht mehr zur Müllhalde. Klara und Dorothea kommen jeden Tag in den Laden, der zugleich Werkstatt und für sie wie ein zweites Zuhause geworden ist. Und sie sind nicht mehr alleine. Martina, 50, fertigt die Matratzen, Cornelia, 30, kümmert sich um die Verwaltung, Juliane, 20, packt überall an. Waltraud Schwienbacher arbeitet ehrenamtlich für Bergauf und kommt oft und gerne vorbei. Was würden diese Frauen tun, wenn es das Projekt „Bergauf“ nicht gäbe? Nicht auszudenken.

Tragbarer Teppich: Alexandra Stelzer entwirft einen Poncho

Wie sie da im Schmiedhof in einer Ecke auf gefilzten Kissen zusammensitzen, sprühen sie voller Tatendrang. Ideen gibt es genug. Die Südtiroler Designerin Alexandra Stelzer hat einen Poncho für Bergauf entworfen. Mehrere Hotels und ein kleiner Bioladen in Lana vertreiben die Produkte der Wollmanufaktur mittlerweile. Dazu gehört auch das von ihnen entwickelte Schafwollbad, für das vier Meter Wolle und Alpenkräuter verwendet werden. Kein Stück Wolle landet im Müll. Die Reste näht Martina zu Teppichen zusammen, jeder ein Einzelstück. Heute erinnern sie sich gerne an die Anfänge zurück. Obwohl es schwer war. Alleine bis sie die ersten Maschinen hatten, um die Wolle zu verarbeiten. Die zwei grünen alten Damen, Marke Trützschler-Hergeth-Sächs.Textilmaschinenfabrik, leisten trotz ihres Alters gute Dienste. Sie zerreißen die Wolle, transportieren sie dann über Rollen weiter, ehe sie kardiert und trocken gefilzt wird. Wenn sie stottern, stocken oder stillstehen, kam früher noch oft der Techniker. Jetzt reparieren Klara und Dorothea die Maschinen meist selbst.

Das Beispiel von Bergauf zeigt, was das Engagement einzelner bewirken kann. Von überall her kommen Interessierte, um das Projekt kennenzulernen. Gedankenverloren nimmt Dorothea Egger ein Stück Filz in die Hand. Die Wolle stammt natürlich von Ultner Schafen. Kilometer null klingt nicht nur gut, es fühlt sich einfach gut an.

Text: Verena Duregger
Fotos: Alex Filz
Video: Alexander Schiebel
Jahr der Veröffentlichung: 2016 - Was uns bewegt

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